Am 1. August hielt Sabrina Obertüfer, Präsidentin der SP Vorderland, in Heiden die 1. Augustrede:

Guten Abend

Es erfüllt mich mit Stolz und Freude, heute Abend meine Gedanken mit Ihnen teilen zu dürfen. Nicht nur, weil wir unsere schöne Schweiz feiern, sondern auch, weil es die Häädler Bundesfeier ist. Als ich nämlich am 1. Juli 2013 im wunderschönen Vorderland angekommen bin, war die Häädler Bundesfeier die erste Veranstaltung, die ich als Neu-Ussärhöödlerin besuchte.

Und nun – elf Jahre später – stehe ich hier vorne, in Hääde, im Appenzeller Vorderland, in dem meine drei Kinder geboren wurden und heranwachsen. Im dem wir unser Zuhause haben und das zu unserer Heimat geworden ist. Inzwischen habe ich verstanden, dass Ankommen mehr bedeutet, als nur physisch an einem neuen Ort zu sein.

Es ist der Beginn einer Reise, die mit Unsicherheiten, aber vor allem viel Hoffnung gefüllt ist. Angekommen ist man dann, wenn der Duft seines Zuhauses ein wohlig warmes Gefühl der Vertrautheit auslöst. Und wenn der typische Klang der Umgebung eine beruhigende Wirkung auf die Seele hat. Wenn man die Menschen um sich kennt und sich zugehörig fühlt. Dann ist man zuhause.

Und im besten Fall passiert es so wie uns, dass ein neues Zuhause gar zur neuen Heimat wird. Gemäss Duden bedeutet das Wort «Zuhause» eine «Wohnung, in der jemand zu Hause ist.» Das Wort «Heimat» wird als «Land, Landesteil oder Ort, in dem man aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt» beschrieben. Und genau hier kommen die Gefühle ins Spiel. Eben diese Wohlfühlgefühle, die ich bereits genannt habe. Denn Heimat ist nicht nur ein Ort, sondern vor allem ein Gefühl. Und ich glaube, geschätzte Anwesende, dass Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass es nicht besonders schwierig ist, sich im Appenzeller Vorderland schnell wohlzufühlen. Mit der wunderschönen Landschaft, dem herrlichen Ausblick und der gelebten Traditionen schlägt das Herz schon sehr bald im Takt der alten Lok Rosa.

Aber damit nicht genug. Nach der Kantonsgrenze wartet die restliche Schweiz mit ihrer atemberaubenden Natur, den Alpen, den klaren Seen und den malerischen Dörfern. Wir wohnen wirklich in einem kleinen Paradies. Doch wie sagt man so oft? Die inneren Werte zählen. Und das ist genau der Punkt. Andere Schönheiten mögen mit der Schweiz konkurrieren, aber unsere Schweiz bietet etwas, wovon unglaublich viele Menschen auf der Welt träumen: Sicherheit. Wenn wir abends im Bett liegen, hören wir kein Sirenengeheul, sondern Kuhglocken. Haben wir Hunger, können wir uns Essen kaufen, ohne Angst zu haben, zu wenig zu bekommen. Unsere Kinder besuchen Schulen und machen Ausbildungen, egal welches Geschlecht, welche Ethnie oder Religion. Und wir können unsere Meinung sagen, ohne dafür mit unserem Leben zu bezahlen. Wir können uns diese Meinung selbst bilden und uns dann sogar aktiv in die Politik einbringen. Und genau das ist das wahre Gut unserer Schweiz. Wir leben ein Miteinander, wie es kaum ein anderes Land zu tun vermag.

Als ich mich vor 1.5 Jahren mit meiner Kandidatur als Kantonsrätin befasste, war mein grösstes Bedenken die Sicherheit meiner Familie und mir. Was würde geschehen, wenn ich mich plötzlich öffentlich politisch engagiere und mich so angreifbar mache? Wollte ich den Frieden unserer Familie in der Anonymität und Abgeschiedenheit unseres kleinen Dörfchens wirklich aufs Spiel setzen für die Politik? Tja, welchen Entschluss ich damals gefasst habe, weiss man ja mittlerweile. Seit über einem Jahr bin ich nun Kantonsrätin und ich bereue meine Entscheidung nicht.  Bereits in dieser kurzen Zeit, durfte ich viele interessante Menschen kennenlernen, die sonst niemals meinen Weg auf diese Weise gekreuzt hätten. Was ich aber am meisten schätze, ist der Umgang, den wir miteinander pflegen. Ich durfte meine Kolleginnen und Kollegen nicht nur im Regierungssaal kennenlernen, sondern auch bei Veranstaltungen ausserhalb oder als Gast bei Delegiertenversammlungen anderer Parteien. Und egal wo ich war und welche Meinung ich vertreten habe, ich wurde stets mit Respekt und Anstand behandelt.

Und auch im Kantonsrat ist es so, dass die Debatten teils hitzig und die Diskussionen lang sind. Aber man schätzt sich trotz Allem und sitzt beim Mittagessen an parteigemischten Tischen und tauscht sich über Alltagsthemen aus. Wir haben alle verschiedene Ansichten, unterschiedliche Hintergründe und Denkweisen, die nicht immer ganz kompatibel sind. Genau diese gelebte Vielfalt aber, macht unser Politsystem so erfolgreich und wertvoll und unser Land so sicher. Denn wir pflegen ein Miteinander und eine Akzeptanz, die uns bestärkt, uns zu engagieren und angstfrei unsere Meinung zu vertreten.

Und genau diese Akzeptanz der eigenen Person vermittelt das Gefühl von Sicherheit und ist der Schlüssel zum Glück. Denn Sicherheit entspannt. Und wenn man Aufgaben entspannt angehen kann, dann gelingen sie auch.

Wenn also zu den Wohlfühlgefühlen nach dem Ankommen auch noch das Gefühl von Sicherheit eintritt, dann, ja dann kann man sein Zuhause Heimat nennen. Dann will man diese Heimat auch pflegen und – wie es in der Schweiz glücklicherweise möglich ist – mitgestalten. Noch mehr aber als das, will man seine Heimat schützen. Das Altvertraute, das man kennt, das bis jetzt so wunderbar funktioniert hat und womit wir uns wohl fühlen. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir Menschen Neuem und Unbekanntem zuerst misstrauisch begegnen. Manchmal macht uns das «Andere» auch Angst und wir möchten nicht, dass es Teil unserer Kultur wird. Wenn Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen versuchen, hier Fuss zu fassen, fallen sie meist auf. Sie sprechen «andere» Sprachen, kleiden sich «anders», kochen «anders» und hören «andere» Musik. Halt einfach alles «anders», als wir es kennen.

Nehmen wir den Blick aber für einmal raus aus dem, was wir hier kennen und schauen auf die gesamte Schweiz: So sprechen die Schweizer doch seit je her «verschiedene» Sprachen, kleiden sich «verschieden», kochen «verschieden» und hören «verschiedene» Musik. So klein unser Land ist, so vielfältig ist unsere Kultur. Wir können nicht pauschal sagen: Genau «diese eine» Sprache ist «unsere» Landesprache, genau «diese eine» Tracht tragen «alle» Schweizer, genau «das eine Gericht» essen «alle» Schweizer traditionell «immer» zu diesem einen Anlass und wir können auch nicht sagen, dass genau «diese eine Musik» die Herzen «aller» Einwohnerinnen und Einwohner in «allen» Landesteilen gleich berührt. Wenn wir es genau nehmen, können wir nicht einmal sagen, dass «alle» Kinder schweizweit zur «genau gleichen» Zeit Ferien haben. Ja nicht einmal hier im Vorderland findet die Sportwoche in «allen» Gemeinden zur «gleichen» Zeit statt.

Die Schweiz ist also in vielen Bereichen alles andere als einheitlich. Es trafen schon immer verschiedene Einflüsse, Sprachen und letztendlich Kulturen aufeinander, die die Struktur der heutigen Schweiz gebildet und beeinflusst haben. Als dann im Laufe des letzten Jahrhunderts das Reisen einfacher wurde, haben sich die Menschen immer mehr durchmischt. Einige sind gekommen, um zu arbeiten, andere, weil sie in ihrer ersten Heimat nicht mehr sicher waren. Viele sind geblieben und haben hier Familien gegründet. Ihre Kinder kennen kein anderes Zuhause als das hier und sind aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile gibt es auch viele Kinder sogenannter Mischbeziehungen. Also verschiedene Kulturen, die zueinander gefunden haben und sich zu einer vielfältigen Einheit verbunden haben. Übrigens bin auch ich ein Kind einer solchen Verbindung und ich bin meiner Mutter jeden Tag dankbar, dass sie vor über 50 Jahren den Weg in die Schweiz gewagt hat. Sie hat damit den Grundstein für ein Leben voller Möglichkeiten und Freiheiten gelegt, die ich in einem anderen Land so nicht hätte. Und ich bin auch meinem Vater dankbar, dass er sich damals allen Widrigkeiten zum Trotz, auf einen Menschen aus einer fremden Kultur eingelassen hat.

Die Vielfalt war also schon immer ein Bestandteil unseres Landes. Sie ist gewachsen und sie tut es weiterhin. Diese Vielfalt ist eine Bereicherung und eine Herausforderung zugleich. Es erfordert Offenheit, Toleranz und Mut jemand Unbekanntes in seinem Zuhause willkommen zu heissen. Das Gefühl der Sicherheit kommt ins Schwanken, die Entspannung ist weg und man nimmt instinktiv eine Verteidigungshaltung ein.

Es erfordert aber genauso viel Offenheit, Toleranz und Mut, in einem neuen Zuhause anzukommen. Das Gefühl der Sicherheit muss sich zuerst einstellen. So, dass sich Entspannung breit macht und man das Altbekannte in den Rucksack der Erinnerung packen und loslassen kann, um frei für die neue Heimat zu sein.

Mit der gegenseitigen Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, ohne die eigene Identität aufzugeben, schaffen wir es, voneinander zu profitieren und miteinander zu leben. Denn schon seit über 733 Jahren schaffen es die Schweizer, trotz eines Wirrwarrs aus Sprachen, Dialekten, Essen und Sportferienwochen, friedlich zusammenzuleben. Wir sind die älteste und stabilste Demokratie Europas und eine der ältesten weltweit. Aufgebaut auf Kollegialität, Gewaltentrennung und dem Milizsystem. Vor allem aber aufgebaut auf Vielfalt, Zusammenhalt und dem Mut für Neues.

Die Schönheit der Schweiz liegt nicht nur in ihrer Natur, sondern auch in den Menschen, die hier leben. Es sind die Geschichten, die wir teilen, die Freundschaften, die wir knüpfen und die gemeinsamen Erlebnisse, die dieses Land so besonders machen. Die Schweiz ist ein Ort, an dem alle Träume Platz finden, wenn wir bereit sind, gemeinsam daran zu arbeiten.

Lassen Sie uns heute dankbar sein, dass es das Glück so gut mit uns meinte und wir ein so grossartiges Land unsere Heimat nennen dürfen. Lassen Sie uns diese Heimat feiern. Lassen Sie uns diese Vielfalt feiern, die uns bereichert und die Unterschiede, die uns einzigartig machen. Denn wir alle sind die Schweiz von morgen.

Sabrina Obertüfer

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